Lkw und Toter Winkel: Neue Spiegelsysteme können helfen
Langsam aber sicher mahlen »Europas Mühlen« bei der Harmonisierung europäischer Gesetzgebung. Viele Menschen sind getötet oder schwer verletzt worden durch eine Situation, die allen bekannt war, und das seit vielen Jahren: Der Tote Winkel beim Lkw.
Dieser Wahnsinn kostete ein Menschenleben (Foto: R. Bernickel)
Herkömmliche Spiegelsysteme reichen nicht aus, um das ohnehin eingeschränkte Sichtfeld eines Lkw als sicher zu bezeichnen. Tägliche Meldungen in den Medien von getöteten Personen bei Verkehrsunfällen mit Lkw und der Ursache »Toter Winkel« lassen die Notwendigkeit nach einer Verbesserung der Lage deutlich erkennen.
Eine deutliche Sichtfeldverbesserung bringen bereits Spiegelgläser mit einem größeren Krümmungsradius. Doch wie so oft, ist auch in diesem Fall Verkehrssicherheit leider eine Frage der Finanzen oder langanhaltender Genehmigungsverfahren. Die Industrie und die Nutzfahrzeughersteller u.a. DaimlerChrysler als Vorreiter, haben in ihren Entwicklungsprogrammen schon seit Jahren die technischen Vorraussetzungen parat gehabt und sich darum bemüht, auf der europäischen Ebene notwendige Maßnahmen in die Praxis umzusetzen. Vorschläge zu einer notwendigen Veränderung sind seit 1999 im Gespräch, aber erst Anfang 2004 wurde durch die Veröffentlichung der EU Richtlinie 2003/97/ EG der Weg zu notwendigen Veränderungen geöffnet. Diese Situation hätte auch ohne die neueste Zusage der Europäischen Union durch geringfügige Veränderungen schon viel früher wirksam bekämpft werden können.
Gefährdeter Personenkreis
Bedauerlicherweise gibt es bundesweit keine repräsentativen Zahlen zu der Verkehrs-Unfallursache »Toter Winkel«. Einzelne Kreispolizeibehörden führen zwar eine separate Statistik hierüber, jedoch ist eine Zusammenführung dieser Ergebnisse auf Bundesebene noch nicht zu realisieren. Präventive Maßnahmen sind bei dieser Unfallursache gar nicht oder nur mit geringer Wirkung umzusetzen. Nur durch die erhöhte Aufmerksamkeit des Fahrpersonals und der gefährdeten Personengruppen können sich im Einzelfall Verkehrsunfälle verhindern lassen.
Im allgemeinen Unfallgeschehen ist überwiegend die Gruppe der verkehrschwachen Personen gefährdet, da sie im eingeschränkten Sichtfeld der Lkw-Fahrer oft gar nicht, oder erst sehr spät erkannt werden. Kinder, Radfahrer und Fußgänger sind innerstädtisch vor allem bei Abbiegevorgängen nach rechts einer erhöhten Unfallgefahr ausgesetzt. Aber auch Überholvorgänge auf Autobahnen werden problematischer durch ein eingeschränktes Sichtfeld. Hier sind besonders Motorradfahrer während der Überholphase gefährdet. Durch hohe Geschwindigkeiten überbrücken sie den von Lkw-Fahrern vorher als frei eingesehenen rückwärtigen Straßenbereich und geraten dann bei einem Fahrspurwechsel schnell in den Toten Winkel. Es sind nur Sekundenbruchteile, die reichen jedoch für einen folgenschweren Verkehrsunfall aus.
Neue Spiegelsysteme
Das alles soll sich nun durch den erlaubten Einsatz neuer Spiegelsysteme ändern. Die ab 2007 geltende EU-Richtlinie, die dann auf europäischen Straßen für Nutzfahrzeuge ab 7,5 t in Kraft tritt, wird durch die deutschen Genehmigungsbehörden vorgezogen. So dürfen zur Verbesserung des Sichtfeldes bei Lkw ab 7,5 t schon ab 2005 Systeme eingesetzt werden, die den erhöhten Ansprüchen an eine Sichtfeldverbesserung entsprechen. Für Neuzulassungen ist ab 2005 das Gesetz bereits bindend. Etwas unverständlich ist die lange Standardisierungszeit bis 2010.
Nach Aussage des VDA Geschäftsführers, Dr. Schlick, werden die im VDA organisierten Hersteller ab September 2004 bei Lkw ab 7,5t die neuen Spiegelsysteme serienmäßig einsetzen. Bis Ende März 2005 ist geplant, die Umrüstung abgeschlossen zu haben. Diese schnelle Umsetzungsphase ist im Sinne einer Verbesserung der Verkehrssicherheit zu begrüßen.
In den Niederlanden wird durch den Einsatz des Dopli Spiegels, der als zusätzlicher Spiegel installiert wird, der Tote Winkel bei Lkw verkleinert. Diese Möglichkeit wird nicht von allen Beteiligten als optimal angesehen, denn es steigt auch die Anforderung an den Fahrer, einen weiteren Spiegel im Auge zu behalten. Seine ohnehin geforderte Aufmerksamkeit wird dadurch noch mehr eingeschränkt.
Die zusätzliche Montage eines Dopli-Spiegels ist in Deutschland zwar schon jetzt erlaubt, ist aber an die Einhaltung von Anbringungsvorschriften gebunden. Außerdem wird nach Umsetzung der Richtlinie bei einem Einsatz des Dopli Spiegels auch die Erfassung des erforderlichen Sichtfeldes Grundvoraussetzung sein. Der geforderte hohe Sicherheitsstandard unserer europäischen Nachbarn bei Nutzfahrzeugen geht soweit, dass Lkw ohne zusätzliche Spiegel Probleme bei der Frachtbeschaffung bekommen. Belgien und Holland haben seit Januar 2004 für jeden zugelassenen Lkw mit einem ZGg von mindestens 3,5 t diese Sichtverbesserung vorgeschrieben.
Das Flügelspiegelsystem von DaimlerChrysler stellt in seiner Funktionsweise durch die Anordnung dreier Spiegel auf einer Sichtachse eine Entlastung für die Fahrer dar und stärkt so die Verkehrssicherheit deutlich. Bessere Rundumsicht und ein minimaler Toter Winkel sind die Hauptmerkmale. Aufgrund wirtschaftlicher Zwänge wird die Anschaffung solcher Sicherheitssysteme in der Branche zwar von der Kostenfrage dominiert, doch im Gegensatz zur Ausrüstung mit Kamerasystemen sind Preisvorteile durch eine Spiegelmontage deutlich erkennbar, insbesondere weil Auflieger häufig gewechselt werden. Es enstehen höhere Kosten durch eine Ausrüstung mehrerer Fahrzeugeinheiten mit Kameras.
Ausblick
Alleine durch das Verhindern von Rangierunfällen, durch eine verbesserte Sicht in rückwärtige Rangierräume und dem Sicherheitsgewinn im öffentlichen Verkehrsraum dürfte die Rechnung bei der Umstellung auf Spiegelsysteme für die Fahrzeughalter aufgehen. Selbstverständlich wird von den Fahrzeugführern eine erhöhte Sorgfaltspflicht im Umgang mit neuen Spiegelmontagen erwartet. Für die Fahrer und Fahrerinnen, die mit einem hohen Maß an Konzentration ihre Fahrzeuge führen müssen, bringt eine Umstellung auf bessere Spiegelsysteme auch eine Verbesserung ihrer Arbeitsqualität.
Das Problem toter Winkel ist nicht nur ein fahrzeugtechnisches Problem. Alle betroffenen Verkehrsgruppen, Lkw-Fahrer, Fußgänger (besonders Kinder) sowie alle Zweiradfahrer müssen für dieses Thema sensibilisiert werden. Nur unter Einhaltung größter Sorgfaltspflicht aller Betroffenen, lassen sich die hohen Unfallzahlen in diesem Segment senken.
Zusätzlich sollte durch den Gesetzgeber eine Änderung der Vorschriften für Verhaltensweisen zum Schutz der gefährdeten Personengruppen überdacht werden. Verkehrsplaner könnten bei der Umsetzung neuer Straßenbaumaßnahmen diese Situation überprüfen und durch bauliche Präventionsmaßnahmen entschärfen. Eine Rückverlegung von Radwegen und ein Verbot zum Zwecke des Rechtsabbiegens und dem damit verbundenen „Halten“ rechts neben einem Lkw sollte tunlichst wegen der prinzipiellen Gefahr vermieden werden. Das Vorbeifahren auf der rechten Seite an stehenden Kraftfahrzeugen ist zwar erlaubt, aber ergibt immer eine gefährliche Situation. Eine Überprüfung und eine eventuell damit verbundene Änderung des § 5 Absatz 8 StVO wäre wünschenswert.
Unter konsequenter Nutzung aller unserer Sicherheitsrecourcen und mit der Unterstützung der Gesetzgebung, sollten lebensrettende, notwendige Änderungen, zeitnah umgesetzt werden.
Pressemitteilung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
vom 27. Oktober 2004:
"Wir müssen die Gefahr des Toten Winkels bei Lkw bald minimieren." Das forderte der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ralf Nagel auf dem informellen EU-Verkehrsministerrat in Verona zum Thema "Verkehrssicherheit in Europa". Die Bundesregierung habe Maßnahmen eingeleitet, um die rechtlichen Voraussetzungen für ein Vorziehen der verpflichtenden Ausrüstung von neuen Lkw, aber auch für die Nachrüstung bereits im Verkehr befindlicher Lkw zu schaffen.
Bereits 2001 habe Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden eine Richtlinie initiiert. Nagel hat sich nun dafür eingesetzt, dass das von der Bundesrepublik angestrebte Geltungsdatum vorgezogen werden könne, und auch Lkw über 3,5 t erfasst würden. Der deutsche Vorschlag, unverzüglich einen erweiterten Richtlinienentwurf vorzulegen, fand Unterstützung von den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Dänemark und der Europäischen Kommission. "Wir wollen nicht ein spezielles Spiegelmodell definieren, sondern wir schreiben Soll-Sichtbereiche, die erfüllt werden müssen, vor", stellte der Staatssekretär klar. Nagel begrüßte den Beitrag der Automobilindustrie zur Beseitigung des Problems. So habe sie neue, technisch ausgereifte Spiegelsysteme entwickelt, die bereits jetzt die strengen Anforderungen der ursprünglichen EU-Richtlinie erfüllen und eine Nachrüstung ermöglichen. Unabhängig von den neuen Vorschriften appellierte Nagel an die Unternehmer, auf freiwilliger Basis ihre Lkw mit den neuen Spiegeln nachzurüsten. "Mit vergleichsweise wenig Aufwand kann eine hohe Wirkung auf die Verkehrssicherheit erzielt werden", meinte der Staatssekretär.
Rainer Bernickel
Polizeihauptkommissar i.R.
Von 1970 bis 2006 bei der Autobahnpolizei Münster; zuständig für die Verkehrssicherheitsberatung.
Europareferent für Verkehrssicherheit.
Autor für Fachzeitschriften.
Amtliche Prüfungsfrage Nr. 2.2.23-209 / 3 Fehlerpunkte
Sie wollen innerhalb geschlossener Ortschaften rechts abbiegen. Worauf müssen Sie achten?
Dass sich rechts vom Fahrzeug keine Radfahrer oder Motorradfahrer im toten Winkel befinden
Sie brauchen nur auf feste Hindernisse, wie Bordsteine oder Verkehrszeichen, zu achten
Ob sich beim Warten an der Ampel Radfahrer oder Motorradfahrer rechts neben dem Fahrzeug aufstellen
|